Olbricht draufsichtDer Mandolbrich-Flügel und die Darmstädter Künstler-Kolonie.

Zeitschrift für Instrumentenbau 1900-1901 S.676ff

Vierzehn fleiß'ge Hände regen
Helfend sich im muntern Bund
Und im feurigen Bewegen
Werden alle Kräfte kund.

Wem gehören diese vierzehn fleißigen Hände? Sieben Künstlern, genannt Joseph Olbrich, Rudolf Bosselt, Christiansen, Ludwig Habich, Peter Behrens, Patriz Huber, Paul Bürck, ihres Zeichens der Reihenfolge nach Meister der Architektur, der Plastik, des Flach – Ornaments, der Bildhauerkunst, des Möbelbaues und der Kunststickerei. Ihr Protektor ist kein Geringerer, als Se. Königl. Hoheit des Großherzog von Hessen, der das schöne Wort „es soll der Künstler mit dem König gehen" praktisch übersetzt hat. Auf dem sonnenbeglänzten Gebiet der Mathildenhöhe in Darmstadt schuf er ihnen ein Künstlerheim, dessen Hauptanziehungspunkt das Ernst Ludwig Haus, die gemeinschaftliche Werkstätte künstlerischen Schaffens bildet. Außerdem hat jeder der vorgenannten Meister sich dort sein eigenes Heim errichtet, das vom Dachziegel bis zum Fußbodenbelag das Gepräge der künstlerischen Individualität seines Erbauers trägt. Diese gemeinschaftliche Schaffensstätte des Siebengestirns am Himmel der Kunst, genannt die Darmstädter Künstler-Kolonie, liegt inmitten herrlicher Parkanlagen; eine weihevollere Berüheungstätte der hehren Kunst mit der Mutter Natur könnte man sich kaum denken. Hier steht die Wiege einer neuen Richtung in der dekorativen Kunst, welche weder mit den klassischen Stilarten noch mit dem Jugendstil fraternisirt, sondern eine eigene Linie wandelt; hier quillt ein Quickborn wahrer, echter Kunst, der sich fruchtbringend in alle Lande ergießen wird. Frei von Sorgen, allen hemmenden Einflüssen des Erdenwallens entrückt, konnte jeder Künstler hier in größter Schaffensfreudigkeit seine Werke ersinnen und der Vollendung entgegenführen.

Zaun, Treppe, Thür und Thor, Tisch und Bett, Bank und Stuhl, Teppich und Decke, kurz, jeder Gebrauchsgegenstand, von der kostbarsten Vase bis zum einfachsten Haken herunter, alles echt und gediegen, jedes Stück ein Kunstwerk, das in seiner Form seinen Erschaffer ehrt. Und das ist einer der Zwecke der Ausstellung, daß wir die Persönlichkeit erkennen können im Werke der Hände, jenes Werkes, dessen Haupttungend eine gewisse aristokratische Abgeschlossenheit bildet – nichts für die breite Masse, alles für jeden Kunstfreund, der die neue Richtung kennen und verstehen lernen will!
Ein frischer Zug geht durch die granze Ausstellung: einerseits eine Rückkehr wohl zu den einfachsten Formen, zu den Grundformen, die durch den natürlichen Zweck des Dinges gegeben sind – anderseit eine Heranziehung der edelsten Materialien, eine vollendete Durchführung jedes einzelnen Stückes und eine fast luxuriöse Farbenfreudigkeit. Die Ausstellung der Künstlerkolonie, deren Motto lautet: „Wir wollen uns nur im Stillen auf dem rechten Wege halten und die Vorigen gehen lassen, das ist das Beste" bildet sozusagen einen Wegweiser auf dem Pfade der Kunst zu neuen, sonnigen Höhen für den, der nicht ausgetretene Pfade wandeln will, sie bildet aber auch einen Berührungspunkt, welcher Kunst und Industrie zu innigem fruchtbringenden Bunde zusammenführt, und ist nicht zuletzt ein Geschmackverbesserungsmittel in des Wortes schönster Bedeutung.
Den Grund und Boden für die Ausstellung stellte der hohe Gönner den Künstlern zur Verfügung und ermöglichte durch besondere Zuwendungen das Zustandekommen derselben. Die aus dem Künstlerheim hervorgegangenen Kunst- und Gebrauchsgegenstände wurden dann an sich dafür interessirende Fabrikanten weitergegeben; hatte ein Fabrikant sich entschlossen, irgend einen dieses Gegenstände auszuführen, so billigte er beim Vertriebe desselben dem Künstler einen prozentaulen Gewinnantheil zu und überließ ihm in Anrechnung hierauf den ersten fertig gewordenen Gegenstand.
So war den beiderseitigen Interessen gedient – der Künslter stieß bei Einrichtung seines Heims nicht auf materielle Schwierigkeiten, dem Kunstgewerbe strömten neue, eigenartige Entwürfe zu, die wiederum erzieherisch auf den Geschmack des Publikums wirken.
Es mag einer berufeneren Feder vorbehalten bleiben, eine Einzelbeschreibung der hervorstechendsten Ausstellungsgegenstände zu geben; hier sei nur flüchtig eines Gegenstandes gedacht, der wohl in keinem Hause fehlen darf, darinnen der Kunst eine Stätte bereitet ist. Es ist das Klavier, jenes Mittel, das die Verbindung zwischen dem längst verstorbenen Tonkünstler und der Gegenwart herstellt; darum kann es nie edel und vollkommen genug sein, um sich dieser hehren Aufgabe würdig zu erweisen. Die landläufige Form des Flügels, dessen Standort in jedem Musikzimmer durch seinen an der linken Seite aufgeschlagenen Deckel unveränderlich gegeben war, der seine Schallstraheln hartnäckig nach rechts warf, so daß man ihn stets so stellen mußte, daß sein geöfneter Deckel der Zuhörerschaft schwarz entgegengähnte, erregte Professor Olbrichs Mißfallen. Um seinen Gedanken, hier Wandel zu schaffen, zu verwirklichen, erwählte er die bekannte rheinische Hofpianofortefabrik Carl Mand in Coblenz. Im Dezember verflossenen Jahres begann diese letztere mit dem Bau des Kunstwerks. Der Flügel ist ein symmetrischer, er zeigt in seiner Grundlinie regelmäßige Trapezform. Für den Musiksalon Sr. Königl. Hoheit des Großherzogs von Hessen bestimmt, ist seine Ausstattung eine entzückende. Das Gehäuse ist in lapislazuli Farbe gehalten, um den unteren Rand zieht sich eine durchlaufende Einlage aus Bein und verschiedenfarbigen Edelhölzern. Unter der oberen Kante läuft eine Rautenschnur, die in das Geäuse hineingestochen ist und eine eigenartige Wirkung hervorbringt. Der Deckel legt sich, in verschiedene Theile getrennt, in der Mitte quer als Brücke üer den Flügel, so daß der Schall nach allen Seiten frei heraustreten kann. Zweck dieser Einrichtung ist der, daß sich jetzt dei Zuhörer in Kreisform um Instrument und Spieler gruppiren und von allen Seiten das Instrument frei überblicken können. Der Deckel ist mit eingelegten Friesen versehen, das reich geschmükte eingelegte Mittelstück trägt das mächtige, in Kupfer getriebene Hauptcharnier.
Der vergoldete Eisenrahmen, in welchen die Saiten gespannt sind, zeigt in reichem Schmuck Linien, die Engelsflügeln gleichend, vielleicht eine humorvolle Anspielung des Künstlers auf den Gattungsnamen des Instruments andeuten sollen. Statt auf den althergebrachten Füßen der Vordertheil des Flügels aud einer soliden Bank, die Füßen und Lyra in sich vereinigt und mit Fußbeschlägen geschmückt ist.
Der hintere Fuß, in gleicher Weiße reich geschmückt, ist in praktischer Weise als Noten-Ständer ausgebildet. Der Corpus wird von der Bank und dem Notenbehälter durch smaragdfarbige, facettirte Glaskörper isolirt. Klappe und Notenpult entsprechen der Schönheit und praktischen Ausführung des Ganzen. In glücklichster Weise ergaben auch die konstruktiven Veränderungen, die die symmetrische Gestaltung an dem Klangkörper, also am Resonanzboden und dem Eisenrahmen nöthig machten, ein tonliches Ergebniß, das alle Erwartungen überstieg.
Der geistvolle Professor und der erfahrene Klaviermacher haben in verständnißvollem Zusammenwirken ein Meisterwerk geschaffen, jener, indem er ihm die Form, dieser, indem er ihm den Ton gab.
Professor Christiansen, den Meister des Flachornaments, hat sich ebenfalls einen Flügel nach dem erwähnten neuen System bei Carl Mand für sein Künstlerheim bauen lassen – ein schlichtes graues Ahorngehäuse, zart wie graue Seide, mit einem höchst eigenthümlichen Randmuster, einfach zwar, aber von stimmungsvoller Wirkung.
Für sein eigenes Heim, genannt „Immer mein", entwarf Professor Olbrich ein Pianino in grau und grünem Gehäuse, primitive aber monumental wirkende Formen zeigend, die Vorderfront grau und grün wechselnd in Rautenfelder getheilt, die Seiten mit einer eigenartig gezackten, an die Angriffswaffe des Sägefisches erinnernden Verzierung eingelegt; die Schloßleiste zeigt ein Schachbrettmuster in weiß und blau. Dem eigenartigen, in seiner Form und Farbe eindrucksvoll wirkenden Gehäuse entspricht die außerordentliche Klangfülle des Pianos, welches ebenfalls bei der mehrfach erwähnten Klavierfabrik erbaut wurde. Welche Unsumme von Fleiß dazu gehörte, welche Schwierigkeiten zu überwinden waren, um in wenigen Monaten diese Werke genau nach den Absichten der Künstler zu schaffen, davon kann nur der Fachmann sich einen Begriff machen.
Am 15. Mai fand die feierliche Eröffnung der Ausstellun der Künstler-Kolonie statt, und am 21. Mai führte Frl. Frieda Hodapp aus Frankfurt a. Main in einem im Spielhause der Künstler-Kolonie veranstalteten Klavierabende einem auserlesenen Zuhörerkreise den der Hofpianofabrik von Carl Mand patentiren „Mandolbrich-Flügel" vor. In geradezu meistehafter Weise und unter stürmischem Beifall spielte die geschätzte Künstlerin Chopin's B-moll-Konzert mir seinem vier Mächtigen Sätzen, „Toccata und Fuge D-moll" von Bach-Tausig „Ballade" in G-moll von E. Grieg und „Rhapsodie No. 12" von Franz Liszt. Von hohem Interessen waren zwei kürzere Klavierstücke: „Träumerei" und „Abschied", komponirt von Sr. Kgl. Hoheit dem Großherzog. In klaren, durchsichtigen Formen sprocht der hohe Komponist seine musikalischen Gedanken aus, die sich streng logisch auseinander entwickeln und dabei natürlich und einfach sind. Alle Grübelei, hinter der sich fast immer die Impotenz des künstlerischen Schaffens verschanzt, liegt ihm fern. Er läßt der Melodie in vollem Umfange ihr Recht wiederfahren und zu dieser reiz- und stimmungsvollen Melodik gestellt sich eine fein gewählte, immer interessante Harmonik, so daß der günstigste Eindruck nicht ausbleiben konnte. Se. Kgl. Hoheit der Großherzog lauschte mit größtem Interesse dem wunderbar weichen und ausdrucksfähigen Tone, den Frl. Hodapp dem Instrument entlockte, wie der hohe Herr überhaupt sich über den in allen Theilen vortrefflich gelungenen Flügel außerordentlich gefreut haben soll.
Wem es vergönnt ist, nach der Künstler-Kolonie auf der Mathildenhöhe in Darmstadt, dieser neu erschaffenen Heimstätte deutscher Kunst, zu pilgern, der versäume nicht, auch die erwähnten Instrumente als hervorragende Erzeugnisse deutscher Kunst und Industrie zu besichtigen.
Die hessische Landeszeitung schreibt darüber: Man darf mit Fug und Recht diese Instrumente als einen Triumph deutscher Kunst bezeichnen.